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Ausgangsbetrachtung
Tollhaus Saigon
Vietnam/Da Lat 27.5.2013
Die Flüge von Colombo nach Kuala Lumpur (Malaysia) und dann sofort weiter nach Saigon (Ho-Chi-Minh-Stadt) verliefen vollkommen problemlos und ohne Verspätungen. Am Flughafen in Colombo hatte ich noch eine kleine Schrecksekunde, als ich auf einer Gepäckswaage, die für die Reisenden zur Verfügung stand, meinen Koffer abwog. Er kam mir zwar schon irgendwie schwer vor, aber mit dem Trolley relativierte sich das Gewicht wieder. Voll der guten Dinge, da ich einiges in Sri Lanka „abgeworfen“ hatte, stellte ich mein Gepäcksstück auf die digitale Waage. Ich erwartete um die 25 kg, tatsächlich zeigte die Waage exakt 30,0 kg, ich war entsetzt. Keine Ahnung, woher das alles kam. Das war die Obergrenze für den Flug, viele Fluglinien akzeptieren nur deutlich weniger. Zum Glück ging alles glatt und der Koffer rollte am Förderband Richtung Verladung. Auf jeden Fall wird sich das in Zukunft ändern müssen, war mein steter Gedanke, das Gewicht sollte maximal 20 kg betragen.

Beim Anflug auf Saigon war es schon wieder hell und ich sah die vielen Arme des Mekong-Deltas unter mir. Das war gleich ein imposanter Eindruck zu Beginn. Jetzt musste nur noch meine Abholung klappen und dann wäre der Einstieg auch schon voll gelungen. Nach der Landung ging alles recht flott und schon rollte ich mit meinem Koffer Richtung Ausgang. Gleich sah ich Phuoc, der mit einem Schild auf mich wartete und wir begrüßten uns herzlich. Es sollte der Beginn einer schönen Zeit werden. Wir stiegen in einen Bus und über breite Alleestraßen gelangten wir ins Zentrum, wo ich ein Hotel gebucht hatte. Ich war angenehm überrascht, so schön und sauber hatte ich mir das hier nicht vorgestellt. Es war auch wenig Verkehr, doch stellte sich dann heraus, dass genau an meinem Anreisetag Feiertag war (Independence-Day). Der Bus hielt ein paar hundert Meter vor dem Hotel und dann verschwand Phuoc plötzlich mit den Worten, er werde jetzt sein Motorbike holen. Gute Idee, aber was sollte mit mir und meinem Koffer passieren? Ich stand am Straßenrand umringt von Vietnamesen bei mehr als 30 Grad Schwüle. Da kam er auch schon wieder, verpasste mir einen Helm und sagte, ich solle aufsteigen, natürlich mit dem Koffer. Ich fasste es nicht, probierte aber das unmöglich Scheinende. Das war ein starker Beginn! Wir schafften es ganz locker und bald hatte ich im Hotel eingecheckt. Alles war perfekt gelaufen, auch das Hotel entsprach meinen Vorstellungen, hier wurde topprofessionell gearbeitet, ich war angetan.

Am Nachmittag holte mich Phuoc mit seinem Motorbike ab und wir besuchten auch in Begleitung seiner Frau den Unabhängigkeitspalast, der heute Wiedervereinigungspalast genannt wird. Was für ein schöner „Zufall“, genau an diesem historischen Datum in Saigon gelandet zu sein, denn am 30. April 1975 fiel Saigon an Nordvietnam und die letzten Amerikaner packten eilig ihre Koffer. Nur wenige Stunden vor der Kapitulation wurden sie vom Dach der US-Botschaft per Helikopter zu den Schiffen der US-Marine geflogen. Die erschütternden Bilder von US-Marines, die flüchtende vietnamesische Bürger aus ihren Helikoptern stießen, gingen damals um die Welt. Der Vietnam-Krieg war schon etwas, das mich interessierte und ich war vor allem neugierig, wie junge Vietnamesen das heute sehen. Im gewaltigen Palast bekam ich sofort einen Eindruck, wie Südvietnam damals geführt wurde.
Der Palast mit seiner auffälligen modernen Architektur im Stil der 1960er Jahre war auch der Sitz des Präsidenten. Die vielen verlassenen Hallen und zahlreiche überaus repräsentative Räumlichkeiten verliehen diesem historischen Bauwerk eine besondere Faszination. Es fehlte an Nichts, von der großen Palastküche bis zu mehreren Konferenz- und Sitzungsräumen, den Wohnräumen des Präsidenten auf der Rückseite, einem eigenen Theater, Kino, Nachtclub auf dem Dach mit Hubschrauberlandeplatz, dem War-Room des Präsidenten sowie einem mobilen Radiosender im gesicherten unteren Teil, der Kommandozentrale in einem verzweigten Tunnelsystem. An alles war gedacht, beeindruckend, wenn man die damalige Zeit und die Armut bedenkt. Phuoc zeigte sich sehr fachkundig und konnte mir alles genau und gut erklären, er hatte ja auch Touristik studiert. Nach der umfangreichen Besichtigung des mehrstöckigen Palastes hatten wir alle Hunger und ich genoss mein erstes Abendessen in Vietnam. Gut, dass ich nicht allein war, denn da hätte ich mich am ersten Tag in diesem Wirbel nicht zurecht gefunden!

Der nächste Tag war wieder Feiertag nämlich der 1. Mai und so begann mein Aufenthalt in Saigon vielleicht ein wenig untypisch, denn viele Vietnamesen hatten frei. Ich war zu Phuocs Familie in der umliegenden Long An Provinz eingeladen. Das ist sicher ein ganz besonderer Freundschaftsbeweis, denn die Familie genießt in der Gesellschaft Vietnams eine übergeordnete und spezielle Stellung. Da muss das Individuum zugunsten der Gemeinschaft zurücktreten. Wir fuhren wieder mit den Motorbikes und so konnte ich nebenbei am Rücksitz gleich lernen, wie die „Fahrkultur“ hier beschaffen war. Schon die Ausfahrt aus dem Zentrum Saigons an die Peripherie dauerte ewig. Und alle Straßen schienen anfangs irgendwie gleich auszusehen. Am Schluss fuhren wir noch eine Weile auf geschottertem Weg bis wir das Elternhaus erreichten. Ich wurde sehr freundlich empfangen, aber einiges an neuem Verhalten musste gelernt werden. Eine Frau in Vietnam wird Dir beispielsweise niemals die Hand zum Gruß reichen, außer die jüngeren und die ganz alten, wie ich später feststellte. Das gemeinsame Essen steht an einem Feiertag im Mittelpunkt der Vietnamesen und, wenn man die schon sehr betagten Großeltern mitzählt, die gleich in der Nähe wohnten, waren ganze vier Generationen versammelt. Beim Essen hatte ich so meine „Probleme“, einerseits mit den Holzstäbchen, was einiges an Lachen hervorrief, andererseits aber auch mit den gereichten Speisen. Es ist üblich, dem Gast die „besten“ Stücke laufend auf den Teller zu legen, ob er nun will oder nicht und Phuoc war ein Meister darin. Da ich aber kaum Fleisch esse, und auch so manche Soße oder Kräuterblätter scharf oder für meinen Geschmack eigen schmeckten, bedurfte es hier einer gewissen Diplomatie, um niemanden zu verletzen.
Nach dem Essen sagte mir Phuoc, ich könne jetzt hier ein wenig schlafen. Es dauerte einen Moment bis ich verstand, dass jetzt alle einen Mittagsschlaf halten würden und bald war ich allein im Raum. Ich war eigentlich nicht müde, nützte aber die Gelegenheit, um ein paar Gedanken zu sammeln. Das Haus war einfach aber sauber und ich glaube für vietnamesische Verhältnisse durchaus überdurchschnittlich. Hinter dem Haus befand sich ein Schweinestall mit frischen kleinen Ferkeln und in einer Art Schuppen die Feuerstelle. Auch das WC befand sich außerhalb, war aber noch ein Plumpsklo. Daneben stand in Behältern Gebrauchswasser zum Händewaschen bereit. Später besuchten wir noch seine Großeltern, die schon über 90 Jahre alt waren, wobei seine Großmutter noch in sehr guter Verfassung war. Natürlich war ich als Europäer das Thema des Tages und die Großmutter wollte mich auch unbedingt berühren. Jede Menge Tanten und Verwandte waren anwesend und wir unterhielten uns angeregt, zumal es auch einen heftigen Wolkenbruch gab und wir ohnehin nicht weiterfahren konnten. So lernte man gegenseitig mit gezielten Fragen die Welt des jeweils anderen kennen. Sie verstanden in erster Linie nicht, warum ich hier allein in Vietnam unterwegs war, und ob ich mich nicht einsam fühlte. Für einen Vietnamesen ist das alleine sein offenbar mitunter das Schlimmste, was ihm widerfahren kann. Nach einer herzlichen Verabschiedung besuchten wir noch eine Tante mit ihrer Familie, wo es wieder Essen gab. Es war sehr interessant mit Phuocs Verwandten zu sprechen, wobei er oder seine Frau alles übersetzen mussten, denn englisch sprechen nur wenige Vietnamesen. An diesem Tag hatte ich die einmalige Gelegenheit viel über mein aktuelles Gastland zu erfahren und ich war Phuoc sehr dankbar für seine großzügige Einladung.

Zwischenzeitlich hatte ich mich an die Millionen Motorbikes und den aufreibenden Fahrstil in Saigon gewöhnt. Es soll ja mehr als 2 Millionen solcher Gefährte hier geben. Ich beobachtete das Treiben sehr genau, wusste ich doch nicht, ob ich nicht irgendwann selber fahren wollte oder musste. Saigon ist sicherlich keine schöne Stadt und wie sich mit der Zeit zeigte auch gar nicht so sauber, wie mein erster Eindruck war, aber irgendwie geht dennoch eine Faszination von ihr aus. Mir blieb rätselhaft, wie dieses Chaos funktionieren konnte, so bemerkte ich kaum Unfälle und wenn, nur leichte. Doch Phuoc mahnte mich immer wieder zur Vorsicht, und es dauerte auch eine Weile, bis ich lernte, wie man hier eine Straße überquert. Hier brodelt es an allen Ecken und Enden und wer es eine Weile aushält, den erwartet ein Erlebnis besonderer Güte. Überall sind die Geister der Vergangenheit zu spüren, der Krieg ist zwar lange vorüber, doch seine Geschichte wird überall dokumentiert. Der Umgang hier mit diesem Thema ist so ganz anders als in Österreich, wo man nicht aufhören kann, ständig wieder alles aufzugreifen und neu aufzurollen. Auch das Verhältnis zu den USA, die hier wahre Gräueltaten an Millionen Menschen begangen haben, ist erstaunlich entspannt und relativ frei von Vorwürfen.

Wir besuchten den China-Market, wo auf engstem Raum oft in kleinsten Kojen Menschen ihre Geschäfte betrieben, aßen, schliefen und sich amüsierten, unvorstellbar für einen Europäer. Die Qualität der Waren kam mir gar nicht so schlecht vor. Anschließend kamen wir gerade rechtzeitig zu einer Pagode, bevor uns ein heftiger Regen überraschte. Die Buddha-Verehrung treibt auch in Vietnam ihre Blüten und es ist schon eigen, woran Menschen glauben können und was sie sich durch blinde Anbetung erhoffen. Zum Abschluss setzten wir uns in ein „Cafe“, was nicht mehr war als ein paar Stühle und Tische am schmutzigen Straßenrand. Gleich daneben zogen lärmend die Motorbikes vorbei. Es war dennoch auf begrenzte Zeit ein tolles Erlebnis.

Es gibt Sehenswürdigkeiten, die sind außergewöhnlich und ziehen einen magisch an. Bei diesen besonderen Orten ist der Besuch mehr als eine Pflicht, das Verweilen wird zur Kür. So ein Highlight war für den nächsten Tag geplant. Wir fuhren mit dem Bus ins Mekong-Delta. Dieser gewaltige Fluss, den wohl fast jeder Schüler aus dem Geografie-Unterricht kennt, ist einer der längsten der Welt und sein Delta eines der größten. Er entspringt am tibetischen Hochplateau und weist je nach Interpretation eine Gesamtlänge zwischen 4350 km und 4909 km auf (Quelle: Wikipedia). Etwa die Hälfte seiner Gesamtlänge liegt auf chinesischem Staatsgebiet. In einer Meereshöhe von etwa 500 m verlässt er China und bildet für rund 200 km den Grenzfluss zwischen Myanmar und Laos. Anschließend ist er die Grenze zwischen Laos und Thailand, schlängelt sich weiter durch Kambodscha und Vietnam, bevor er letztlich ins Südchinesische Meer mündet. Ich habe die gewaltigen Ausmaße schon vom Flugzeug aus sehen können, die zahllosen Reisflächen und die endlos scheinenden Verzweigungen. Das Delta ist Vietnams „Reiskammer“ und ist sehr dicht besiedelt. Wir fuhren aufgrund der Zeitbeschränkung nach My Tho, dem Tor ins Mekong-Delta. Dort bestiegen wir ein kleines Boot und setzten zum anderen Ufer über. Das schlammig braune Delta hat hier schon eine ziemliche Ausdehnung und die Überfahrt dauerte eine ganze Weile. In einiger Entfernung stach eine riesige Brücke aus dem eher ruhigen Wasser hervor. Der Bau dieser über 1000 m langen Schrägseilbrücke war ein technisch schwieriges Unterfangen, da das ganze Mekong-Delta keinen festen Untergrund besitzt. Bis zu diesem Zeitpunkt waren einige größere Städte wie auch My Tho oder Can Tho nur über Fähren erreichbar.
Auf der Insel angekommen bot allerhand Gewerbe seine Produkte an und wir flanierten durch ein paar Marktstände. Später erhielten wir eine Gesangsdemonstration mehrerer Frauen, das war offenbar alles im Ticket inbegriffen. Wir passierten einen Platz mit drachenverzierten bunten Säulen, einen Teich voll mit riesigen hungrigen Krokodilen, denen man gegen Bezahlung ein Stück Fleisch zuwerfen konnte und auf einem kleinen Bambussteg über einem weiteren Teich konnte man sein Gleichgewicht üben. Phuoc meinte, darunter würden schon die Krokodile warten, doch ließ ich mich nicht täuschen. Dann stiegen wir in ein kleines Kanu, das jeweils vorne und hinten gepaddelt wurde und tauchten für einige Zeit in einen herrlichen Deltakanal ein, der beidseitig von dichten Bewuchs begrenzt war. Lautlos glitten wir dahin und mir fiel wieder der Vietnamkrieg ein, und wie chancenlos doch ein Fremder in so einer Umgebung sein musste, wo sich überall potentielle Fallen auftaten. Die Kanufahrt grenzte schon an Kitsch, aber mir schien alles relativ naturnah und ich genoss es sehr. So eine breite Flusslandschaft hat eben ihren besonderen Reiz, den man einfach vor Ort erleben muss.

Der Krieg ist lange vorbei, die Aufarbeitung nach erstem Augenschein gut gelungen – die Vietnamesen hatten den scheinbar übermächtigen Gegner erfolgreich vertrieben – doch die Zeugen dieser Zeit blieben allgegenwärtig. Wir fuhren mit dem Bus nach Cu Chi. Dieses Gebiet liegt ca. 50 km nordwestlich von Saigon und kann als Symbol für den beharrlichen und zähen Widerstand der Vietnamesen angesehen werden. Von einem unterirdischen Tunnelsystem aus mit mehr als 200 km Länge, das teilweise mehrere Stockwerke umfasste, wurde der Gegner zermürbt und mit Überraschungsangriffen eingedeckt.
Das System bestand aus zahllosen grausamen Falltüren, Wohnbereichen, Lagern, Waffenfabriken, Lazaretten, Kommandozentren und Küchen. Zu ihrer besten Zeit reichten die Gänge von Saigon bis zur kambodschanischen Grenze und ermöglichten dem Vietcong ein großes ländliches Gebiet in der unmittelbaren Nähe Saigons zu kontrollieren. Mit Romantik haben diese engen Röhren allerdings nichts gemein. Sie waren so eng, dass im Normalfall kein Nichtvietnamese hineinpasste. Ich stieg in einen für Touristen vergrößerten Tunnel hinab und kroch viele Meter zunächst im Dunklen entlang, ehe es auf der anderen Seite wieder hinauf zum Tageslicht ging. Unvorstellbar hier unter diesen klaustrophobischen stickigen Zuständen wochen- oder gar monatelang auszuhalten. Kein Wunder, dass die Opferzahlen auf beiden Seiten sehr hoch waren. Nur rund 6.000 Mann von 16.000 Mann, die in den Tunneln kämpften, überlebten. Dennoch fanden die technologisch weit überlegenen Amerikaner hier ihre Meister. Sämtliche Bodenoperationen gegen die Tunnel scheiterten und man verlegte sich auf massiven Beschuss. Das Gebiet von Cu Chi dürfte in der Folge das am meisten bombardierte, beschossene, begaste, entwaldete und verwüstete Areal der Kriegsgeschichte geworden sein (Mangold/Penycate). Schließlich Ende der 1960er Jahre als die USA bereits ihren Abzug eingeleitet hatten, zerstörten amerikanische B-52 Bomber die meisten Tunnel und alles in ihrer Umgebung. Eine militärisch sinnlose Aktion, denn der Zweck der Tunnel war bereits erfüllt. Es ist erstaunlich, dass auf den ersten Blick außer ein paar Bombenkratern nichts an die unerbittlichen Kampfhandlungen erinnert. Tom Mangold und John Penycate haben in ihrem Buch „The Tunnels of Cu Chi“ die Geschichte der Tunnel und der beteiligten Menschen beider Seiten beschrieben und erläutert.

Für den nächsten Tag hatte mir Phuoc auch einen Abstecher an einen Strand schmackhaft gemacht, daher war die Badehose im Rucksack mit dabei. Es ging nach Can Gio–Monkey Island ca. 25 km südöstlich von Saigon. Diese flache Insel liegt an der Mündung des Saigon Flusses und besticht insbesondere durch ihre ausgedehnten Mangrovenwälder. Die Anreise erfolgte wieder per Bus und dann setzten wir mit der Fähre über. Es war drückend heiß, deswegen hoffte ich auf ein tolles Badevergnügen. Wir besuchten nach langer mühsamer Anfahrt zunächst den Mangrovenwald, ein artenreiches Unesco-Biospärenreservat mit zahlreichen Tier- und Pflanzenarten.
Hier leben auch wilde Affen, die allerdings sehr frech sind, und man ist gut beraten, seine Sachen beisammen zu halten. Eine beeindruckende Krokodilfarm, wo sich unzählige Tiere in halbwilder Umgebung aufhalten, liegt gleich beim Eingang. Die Hauptattraktion ist allerdings die Fahrt mit einem Motorboot über die zahlreichen verschlungenen Wasserwege zur Rung Sac Guerilla-Basis, wo in einem nachgestellten Stützpunkt Vietcong Kämpfer gezeigt werden, wie sie unter höllischen Bedingungen nicht explodierte amerikanische Bomben auf sägen, um den Sprengstoff zu retten, oder einen aussichtslosen Kampf mit Krokodilen führen, die damals häufig anzutreffen waren. Natürlich ist die Demonstration dieses Szenarios nicht ganz frei von Pathos und Propaganda. Der Motorbootfahrer schnitt in atemberaubender Geschwindigkeit Steilwandkurven in die engen Kanäle und man musste aufpassen, nicht von Ästen oder niederen Stegen getroffen zu werden. Das wäre in Österreich in dieser Form vermutlich nicht möglich. Nun ging es weiter zum angekündigten Badevergnügen. Plötzlich tauchte dann ein dunkler flacher und schlammiger Strand mit einer einfachen Promenade und ein paar palmenblätterbedeckten Kiosken vor mir auf. Einige Kitesurfer waren zu sehen. In der Mitte hingen alte verwahrloste Schiffe irgendwie fest. Es war ein eher trüber Anblick. Das Wasser war braun statt blau. Kinder spielten und verschmutzten den ohnehin nicht gerade sauberen Strand noch mehr mit WC-Rollen, in die sich eingewickelt hatten. Ein Bagger bewegte große Steine hin und her. Die Farbe des Wassers stammte von den Schlammablagerungen des Flusses, aber schön anzusehen war dieser Ort nicht. Wir gingen trotzdem schwimmen, doch ich konnte meine Enttäuschung nicht verbergen. Für Phuoc war das weniger ein Problem, aber die Ansprüche eines Europäers sind hier nun einmal andere. Ich war froh, als wir diesen für meine Begriffe grindigen Ort wieder verlassen hatten und im überfüllten Bus abends nach Saigon zurückkehrten.

Die vielen und langen Busfahrten waren auf Dauer ziemlich anstrengend und so stiegen wir wieder auf das Motorbike um und blieben am folgenden Tag in Saigon. Zunächst besuchten wir die Pagode des Jadekaisers. Diese Tempel mögen zwar für einen Nichtkundigen alle irgendwie ähnlich ausschauen, aber bei sorgfältiger Betrachtung erzählt jeder eine andere Geschichte.
Die Jadepagode ist sehr farbenprächtig und birgt zahlreiche Statuen aus Pappmaché, die fantastische Gottheiten und groteske Helden der buddhistischen und taoistischen Tradition verkörpern. Alles schaut sehr kunstvoll und verklärt aus und durch den beißenden Rauch der Räucherstäbchen wirken die dargestellten Metaphern der Figuren noch eindringlicher. Anschließend gingen wir in den im Zentrum liegenden Zoo samt Botanischem Garten. Hier sah ich viele Tiere in Gefangenschaft, die ich in den vergangenen Wochen in freier Wildbahn beobachten konnte. Der Tiergarten war nichts Besonderes aber eine willkommene Abwechslung nach den vorangegangen Tagen. In Erinnerung geblieben sind mir der müde alte weiße Tiger und ein greises Löwenpärchen, das es auch nicht mehr lange machen wird. Zum Abschluss des Tages besuchten wir abends das „Golden Dragon Water Puppet Theatre“. Diese sehr kunstvolle Tradition kommt ursprünglich aus dem Norden Vietnams, hat aber aufgrund großer Beliebtheit nun auch in Saigon ihren festen Platz. Die lebendige und amüsante Vorführung dauert nicht ganz eine Stunde und ich habe nicht bereut, dort gewesen zu sein. Am Ende traten dann unter heftigem Applaus die „Meister“ der Wasserpuppen in wasserfesten Anzügen vor die Bühne und man durfte nun raten, wie sie diese Kunststücke zu Wege gebracht hatten. Trotz mehrfacher Nachfrage wollte es mir Phuoc aber nicht erklären. Das blieb also weiter ein Staatsgeheimnis.

Vietnam ist die Heimat einer der faszinierendsten indigenen Religionen, des Caodaismus, einer Sekte der weltweit schätzungsweise zwei bis drei Millionen Anhänger folgen. Der Hauptsitz befindet sich in dem kleinen Dorf Long Hoa etwa 4 km östlich der Provinzhauptstadt Tay Ninh. Die Stadt liegt 96 km nordwestlich von Saigon und nicht allzu weit von der kambodschanischen Grenze entfernt. Und genau zum großen Cao-Dai-Tempel, dem Heiligen Stuhl der Sekte, fuhren wir am nächsten Morgen. Die Anreise war langwierig und aufgrund der wirklich schlechten Straßen eine Zumutung. Ich war schon leicht verspannt wegen der ewigen Baustellen und der Schaukelei im Bus, hatte jedoch keine wirkliche Ahnung was mich erwartete. Phuoc hatte sehr gedrängt in der Früh, damit wir auch rechtzeitig dort wären, ich wusste nicht warum. Als wir dann ausstiegen und um die Ecke bogen, sah ich den Grund. Hier steht eines der außergewöhnlichsten Bauwerke in ganz Asien. Wir schritten vor und er drängte noch immer, ich war so fasziniert und wollte sofort Fotos schießen. Die könne ich später machen, meinte er und wir gingen ohne Schuhe ins Innere und sofort auf einen Balkon, um dem Gebet der mehreren hundert Gläubigen in speziellen weißen und gelb, blau oder roten Gewändern zu lauschen. In diesem unglaublichen Bauwerk entfaltete sich eine Pracht und Farbenfreude, die ihresgleichen suchte. Die in Reihe und Glied sitzenden Anhänger steigerten das Gesamtbild nochmals. Jetzt war mir klar, warum es so eilig sein musste und ich war froh, dass wir es noch geschafft hatten. Der lange Tempel erstreckt sich über neun Ebenen, die von neun flachen Stufen mit je einem faszinierenden Säulenpaar begleitet sind, entsprechend den neun Stufen zum Himmel. Eine Kuppel symbolisiert den Himmel und darunter befindet sich eine riesige sternenübersäte Weltkugel mit dem „Göttlichen Auge“. Vor der Weltkugel stehen sieben prächtige Stühle, deren größter für den Cao-Dai-Papst bestimmt ist. Dieses Amt ist aber seit dem Jahr 1933 unbesetzt. Der Caodaismus ist 1926 als Religion gegründet und der opulente Rokokobau zwischen den Jahren 1933 und 1955 errichtet worden. Gegensätzliche architektonische Elemente wie die einer christlichen Kirche oder einer chinesischen Pagode wurden hier vereint. Im ersten Moment haben mich die beiden Türme sogar ein wenig an die Basilika in Mariazell erinnert. Die Glaubensrichtung ist eine faszinierende Vermischung aus Ost und West, eine synkretistische Religion mit Elementen aus Buddhismus, Konfuzianismus, Taoismus, vietnamesischem Spiritualismus, Christentum, Islam und einer kleinen Prise säkularer
Aufklärung. Auf diese Weise hat der Caodaismus ein völlig neues Weltbild entworfen. In Vietnam wie auch in ein paar anderen Ländern ist es auch durchaus üblich, nicht nur einer Religion anzugehören, sondern verschiedene Religionen und Lehren nach eigenen Vorstellungen zu mischen. Mitte des vergangenen Jahrhunderts gewann der Caodaismus so stark an Einfluss und Macht, dass die Sekte die Tay-Ninh Provinz fast wie einen unabhängigen Feudalstaat führte. Während des Vietnamkrieges weigerten sich die Cao Dai mit ihrer 25.000 Mann starken Armee allerdings, den Vietcong zu unterstützen, was ihnen nach Kriegsende zum Verhängnis wurde. Das gesamte Land der Cao Dai wurde verstaatlicht und vier Mitglieder der Sekte wurden 1979 hingerichtet. Im Jahr 1985 als die Cao Dai gründlich befriedet worden waren, erhielten sie wieder die Kontrolle über den Heiligen Stuhl und etwa 400 Tempel (Quelle: „lonely planet-Vietnam Reiseführer“).

Nach einem kurzen Mittagessen ließen wir uns von zwei Motorbike-Taxis zum wenige Kilometer entfernten Tempelberg Nui Ba Den führen. Der 850 m hohe Berg ragt über die umliegenden Reisfelder, Mais-, Maniok- und Kautschukplantagen in die Höhe und bietet einen schönen Blick ins flache Umland. Mit einem „Doppelmayr“ Sessellift „Made in Austria“ waren wir schnell oben, wo dann noch viele steile Stufen zum Haupttempel führten. Am interessantesten war für mich allerdings der Ausblick in die nur wenige Meter über dem Meeresspiegel liegende Umgebung. In der Ferne zogen dunkle Wolken auf und die Regengrenze war schön zu erkennen. Zum Abschluss wollten wir mit der Rodelbahn, die sich in schönen Kurven 1700 m den Berg hinabschlängelt, wieder ins Tal gelangen. Der einsetzende Regen hat dieses Vergnügen dann leider verhindert.

Am letzten Tag vor meiner Abreise aus Saigon besuchten wir das Kriegsrestemuseum. Hier werden in erster Linie erschütternde Fotos von den Kriegsverbrechen der Amerikaner gezeigt. Vor dem Museum stehen verschiedene Panzertypen, Artilleriewaffen und sonstiges Kriegsmaterial. Auch die berüchtigten französischen und südvietnamesischen Gefängnisse auf den Inseln Phu Quoc und Con Son werden dokumentiert. Es mag zwar sein, dass die Ausstellung etwas einseitig und propagandistisch angehaucht ist, doch stammen viele der verstörendsten Fotos aus US-amerikanischen Quellen. Nach der Ansicht der Bilder und den Exponaten aus den Insellagern war ich allerdings so angeschlagen, dass meine Stimmung vollends im Keller war. Unglaublich wozu Menschen fähig sind!

Schnell machten wir noch einen kurzen Abstecher zum beeindruckenden Hauptpostamt im französischen Stil, das nach einem Entwurf von Gustave Eiffel zwischen 1886 und 1891 errichtet wurde. Vor dem Postamt steht die Notre-Dame-Kathedrale und, wenn man in diese Richtung blickt, wähnt man sich fast in einer europäischen Hauptstadt. Damit war mein Besuchsprogramm in Saigon abgeschlossen und uns blieb nur mehr ein gemeinsames Abendessen in einem von Phuocs Lieblingsrestaurants. Dazu fuhren wir mit dem Motorbike im abendlichen Verkehrswahnsinn wieder ein wenig stadtauswärts. Eine Unmenge von Restaurants und Lokalen wartete auf Besucher und eigentlich waren die meisten gesteckt voll. Trotzdem bemühten sich zahlreiche aggressive Werber um weitere Kunden. Wir saßen auf kleinen „Kinderstühlen“ wie sie hier üblich sind, und ließen den letzten gemeinsamen Abend ein wenig melancholisch ausklingen.
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